Kultur, kein Zweifel, ist Gemaltes, Gegossenes und Erbautes. Kultur bedeutet Bühne und Klang. Kultur steht im Zusammenhang mit Religion, Geschichte, Tradition und Politik. Kultur – cultura – ist ein Wort aus dem Römischen. Es bedeutet Pflege, Bebauung, Bestellung, auch die der Äcker. Dies scheint jedoch häufig vergessen. Umso besser, dass es Menschen gibt, die gerade diesen Aspekt immer wieder hervorheben, weiterentwickeln und leben. Eine von ihnen ist Brigitte Vogl-Lukasser. Gemeinsam mit Gärtnern und Gärtnerinnen sowie Bäuerinnen und Bauern aus Ost- und Südtirol pflegen sie die Kultur um heimisches Saatgut. Aber warum?

Saatgut für dynamischen Anbau

„Es gibt wenige Menschen, die das Handwerk der Saatgutvermehrung noch ausüben“, erklärt die Pustertaler Wissenschaftlerin. „Die Menschen gehen in die Geschäfte oder auf die Märkte und kaufen etwas. Aber das ist nicht mehr das gleiche – es hat nicht mehr die kulturelle Verbindung.“ Damit sich das wieder ändert, fand kürzlich im Pfleghaus Anras eine Sortenausstellung statt – ein wahres Saatgutfest. Mit von der Partie waren unter anderem Vereine wie die Lungauer Arche und der Sortengarten und die Arche Südtirol, die Tiroler UmweltanwaltschaftUrkorn Tirol. Es galt, sich über Kulturpflanzen zu informieren, die teils über Generationen weitergegeben worden sind, „aber auch neue, die jetzt Verankerung finden und mittlerweile auch vor Ort vermehrt werden“, sagt Brigitte Vogl-Lukasser. Sie nennt die Tomaten, „die man bei uns erst vor 30, 40 Jahren in den Anbau gebracht hat.“ Saatgutvermehrung sei etwas sehr Dynamisches. Das gilt auch für Kartoffeln. So ist auch Timo Auer von der Arche Noah im Waldviertel dabei, wenn Jahr für Jahr mehr als 150 Sorten gelegt, gepflegt und geerntet werden. In 18 Reihen zu 100 Metern. Von Hand.

Ganz einfach: Das Beste aus dem eigenen Garten

Die Kartoffelsorten tragen Namen wie Andengold und Moor-Sieglinde, es gibt die Four Big Sisters, die Gesprächsstoff und die Kanarische Papa Negra. Die Trüffelkartoffel Vitelotte, lilafarben marmoriert und nach Maronen schmeckend, verwenden französische Köche gern. Das Saat- beziehungsweise Pflanzgutder Erdäpfel geht weit aus Niederösterreich hinaus. Und wer sie selbst legen will, hat nur auf Weniges zu achten. „Alle Sorten gedeihen standort- und witterungsabhängig“, sagt Timo Auer. Aus zehn bis 15 Stück verdoppeln sich leicht zwei Kilo bei einem guten Jahr.“ Auch nennt der Gärtner gute Gründe für sein Engagement in der Saatgutpflege: „Wenn jemand sagt ‚Hauptsache Kartoffel“, und die gibt’s ja im Supermarkt, ist er angekommen im industriellen Rad unserer Zeit. Dann geht’s nicht mehr um Herkunft und Bedeutung. Es geht nur noch um die Frage, wie viel mit einer Kartoffel verdient werden kann.“ 

Interesse an Saatgut gestiegen

Dabei geht es um den Wert der Kultur und die Vielfalt. Auch bei den anderen Ausstellenden der Sortenausstellung. Der Weinbauer Manfred Hofer ist an diesen Tagen mit vielerlei Sorten Äpfeln vertreten. Weiter kümmert sich der Verein vom Sortengarten Südtirol, den er vertritt, um Gemüse und alte Haustierrassen. Das Bewusstsein für diese Art der Kultur, meint er, sei in den vergangenen fünf Jahren leicht gestiegen. Und tatsächlich zeigten nicht wenige Menschen Interesse an Kulturpflanzen. Das freut Brigitte Vogl-Lukasser: „Wir wünschen uns, dass wir Bäuerinnen und Bauern, Gärtnerinnen und Gärtner sowie Konsumentinnen und Konsumente erreichen. Dass sie darüber nachdenken, ob sie etwas selbst anbauen und vermehren oder wo sie Saatgut oder Jungpflanzen kaufen. Wir reden hier von einem lebendigen kulturellen Erbe, auf das wir schauen müssen.“ Um dieses Anliegen bemühen sich zahlreiche weitere Landwirte im Osttiroler wie im Südtiroler Pustertal, aber auch im Belluno. „Das Tolle ist, dass man gemeinsam erkennt, dass man an ideellen Werten nicht allein arbeitet, sondern dass es Menschen gibt, die das gleiche Anliegen haben.“ Und der wirtschaftliche Faktor?

Kulturpflanzen und Saatgut – ein Bildungsauftrag

Den Vereinen und Initiativen ist es wichtig, Saatguterhaltende zu stärken. „Mit alten Sorten ist es wirtschaftlich sehr schwierig“, weiß Brigitte Vogl-Lukasser. Doch das Alte ist attraktiv, auch weil es mit unserer Kultur zusammenhängt, und es kann eine Ergänzung sein. Es gehe weniger um den großen wirtschaftlichen Faktor, erklärt sie. „Indirekt stärken wir die Bildung zu den Themen Saatgut, Kulturpflanzen und damit auch zum Thema des Schließens regionaler Rohstoffkreisläufe.“ Das könne wiederum den Wirtschaftsfaktor stärken, es seien Bildungsprojekte. „Und Bildung ist das zentrale Thema, das uns weiterbringt.“ Und wenn sie in die Zukunft blickt, ist sie sich sicher, „dass jeder etwas können müssen wird, um widerstandsfähig zu bleiben“. Kleine Anbauflächen oder mittelgroße Äcker mit einer Vielfalt an kulturellen Arten und Sorten würden künftig zum Sichern der Ernährung mehr wertgeschätzt werden – nicht allein die industrialisierte Landwirtschaft. Und sie spricht von den zahlreichen Biobäuerinnen und Biobauern in Osttirol, die bereits nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft auf den Höfen arbeiten und diese Form der Kultur leben. Nicht komponiert oder erbaut, nicht beschrieben und schon gar nicht archiviert. Aber jedes Jahr bei Erntedank aufs Neue gefeiert. „Die Kultur hängt von der Kochkunst ab“, sagte der britische Schriftsteller Oscar Wilde. Und jeder weiß: Für ein gutes Gericht braucht es beste Zutaten. 

Weitere Informationen:

Hier geht’s zur Pustertaler Kulturartenvielfalt

Timos Tipps zum Kartoffelanbau

Generell gilt: schwere, lehmige Böden besser meiden. Zum Anbau bieten sich leichte, mineralische Böden an. Die Knollen werden 10 bis 15 Zentimeter tief in die Erde gesteckt mit einem Abstand von ca. 30 Zentimetern von Knolle zu Knolle und von Reihe zu Reihe. Die Erde ein- bis zweimal anhäufeln. 

 

Meinung

Kommentar von Sepp Mascher 

Er ist seit Jahrzehnten in der herkömmlich verstandenen Kultur tätig (Chorleiter, ehemaliger Kapellmeister, Obmann Kulturfenster Anras), aber auch sehr engagiert im Bewahren von Traditionen. Unter anderem hat er einen großen Garten und baut dort viel selbst an.

Heutzutage ist es so, dass einige wenige Großkonzerne den Saatgutmarkt bestimmen wollen. Dabei geht die Vielfalt regional erprobter und robuster Gemüse-, Getreide- und Obstsorten immer mehr in Vergessenheit. Um diesem Trend entgegenzuwirken, hat die Gemeinde Assling unter Federführung der Biologin Brigitte Vogl-Lukasser und des Biologen Christian Vogl ein Interreg-Live-Projekt gestartet. Die Abschlussveranstaltung fand vom 14. Bis zum 16. September im Anraser Pfleghaus einen würdigen und sehr geeigneten Rahmen vor.


Und diese Veranstaltung war großartig. Die renommierten Aussteller zeigten eine beträchtliche Auswahl an bestem Saatgut, das unbedingt vermehrt werden sollte. Das Interesse war enorm, eine unerwartet hohe Besucherzahl war überaus begeistert. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass es immer mehr Menschen gibt, die die Saatgutvermehrung und den Anbau diverser Pflanzen zu ihrer Leidenschaft erhoben haben, trotz des Mehraufwandes an Arbeit.
Es ist zu hoffen, dass dieser Trend noch lange anhält und unsere Speisepläne von dieser Vielfalt profitieren.

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