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Aus den Lautsprechern erklingt der 4. Satz von Brahms 1. Symphonie. Es ist Ende November, die schroffen Gipfel sind längst weiß überzuckert und die ersten echten Schneeflocken der Saison tanzen im Sonnenlicht. Warum Brahms? Nun, dieses Werk würde Dirigent Gerald Mair wählen, würde er seiner Heimat Osttirol ein Musikstück zuordnen wollen.

„Weil diese Musik so eine Kraft, eine Erhabenheit hat, aber auch Weite ausstrahlt, aber auch etwas bedrohlich wirkt“, sagt er. „Sie spiegelt die landschaftliche Struktur Osttirols wider, aber zeichnet auch den Charakter der Menschen dort, dieser Stolz auf die Region, aber auch der Respekt vor der Natur. Und wenn ich dann am Iselsberg bei den Eltern auf dem Balkon stehe und auf den Talboden blicke und mir sich die Dolomiten entgegenstellen, dann höre ich irgendwie diese Musik im inneren Ohr. Sie hat so etwas Bodenständiges, Erdiges, Beharrliches auch und teils Traditionelles.“

Herr Mair, oder Gerald mit Osttiroler Du – oder spricht man ihn mit Maestro an? Er lacht.

„Viele sprechen mich so an, weil ich einen Beruf ausübe, den in dem Umfeld nicht viele machen. Viele hätten ihn augenzwinkernd so genannt, weil es eben altmodisch sei und „es hat zusammen mit meinem Nachnamen eine gute Verbindung gefunden. Ich selbst würde mich nicht in den Maestro-Status heben“, grinst Mair schelmisch.

Zehn Jahre Klangvereinigung

Behalten wir den Maestro bei, es klingt einfach charmant. Und so weilt der Maestro derzeit in Bielefeld. In vielen Teilen Europas ist das soziale Leben mit dem zweiten Lockdown heruntergefahren, auch in Österreich und in Deutschland. Proben sind unter Auflagen erlaubt, doch die Aufführungen sind nur via Livestream am heimischen Bildschirm zu erleben. In Bielefeld ist Mair seit einiger Zeit für das Stadttheater im Management tätig. Sonst ist er viel in Wien – seine „Klangvereinigung“ feierte in diesem Jahr das zehnjährige Bestehen und natürlich zuhause in Lienz, wo er für Besprechungs- und Probentermine mit dem Lienzer Sinfonieorchester oft ist. Drei Konzerte pro Jahr stehen normalerweise auf dem Programm.

Dazu kommen Familienfeiern, überhaupt ist er gern zuhause. Ein Zuhause, das für ihn Heimat ist – und bleiben wird. „Heimat“, sagt er, „ist für mich ein Ort, mit dem man die Zeit verbindet, in der man groß wird. Dort formt sich die Persönlichkeit und es entscheidet sich sehr viel fürs spätere Leben.“ Geboren wurde Mair 1988 in Lienz und aufgewachsen ist er in einer rundum musikalischen Familie. Vater Hans Mair hat früher in einer Band gesungen, Mutter Barbara lange Zeit Hackbrett gespielt, auch seine Schwester Lorena musizierte. „Es gab immer viel Musik im Haus und eben viel musikalischen Input von den anderen Familienmitgliedern, was meine Berufswahl auch gefördert hat. Mein Vater macht nach wie vor die Sendung „Go West – Go Country“ auf Radio Osttirol. Das schöne ist, dass jeder von uns in der Familie einen anderen Musikgeschmack hat.“ Die Eltern dachten stets, dass Musik ein Teil der Ausbildung sein sollte. „Von der Volksschule an haben sie mich immer geleitet, aber nie gedrängt, für alles ermuntert und bestärkt, aber nie zu etwas gezwungen.“

Und so spielt Mair heute Klavier und Kontrabass. Sein Weg zum Beruf des Dirigenten hat sich früh abgezeichnet, bereits mit vier Jahren kam es ihm in den Sinn. Mit zehn bewunderte er Stardirigent Zubin Mehta beim obligatorischen Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. „Dazwischen gab’s auch andere Berufswünsche und -träume natürlich, aber ich bin immer wieder darauf zurückgekommen.“ Und so stand er das erste Mal beim Maturaball am Dirigentenpult eines selbst zusammengestellten Salonorchesters, und dann ergab das eine das andere.

Menschlichkeit und Musik in den Vordergrund stellen

Sein Verein, die Klangvereinigung, rief Mair mit dem Musikerkollegen Bernhard Winkler bereits während des Musikstudiums in Wien ins Leben. „Mehrere Projekte wurden an uns herangetragen“, erinnert er sich, „und so kam uns die Idee, einen Klangkörper zu bilden, um diese Projekte durchführen zu können. Auf das zehnjährige Bestehen ist Mair stolz:

„Wir haben nie gedacht, dass wir zehn Jahre lang auf eine so abwechslungsreiche Art und Weise und künstlerisch so anspruchsvoll so viele Projekte umsetzen können.“ Und er erinnert sich an die China-Tourneen, an Studioaufnahmen des Orchesters unter anderem mit Rockbands, an Auftritte mit dem Ball-Orchester und dem Schrammelquartett „Klangviertel“ und natürlich an das Jubiläumskonzert im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses Anfang 2020. 

Die Klangvereinigung entstand aus der Idee, jungen Talenten die Möglichkeit zu geben, im Orchester national ebenso wie international Erfahrungen zu sammeln und dies zu fördern. Was Mair und seinen Kollegen dabei immer wichtig war: die Freude am Musizieren in den Vordergrund zu stellen. „Wegen dieser guten Atmosphäre, die wir immer im Orchester haben, diesem guten Zwischenmenschlichen“, sagt er, „haben wir uns einen so guten Ruf aufgebaut. Dabei ging es uns immer um eine angemessene, faire Zusammenarbeit mit jedem Einzelnen. Und das ist das Besondere: dass wir die Menschlichkeit und die Musik gemeinsam in den Vordergrund stellen, nicht allein das Endprodukt und die Leistung, die meiner Meinung nach automatisch generiert wird, wenn diese Aspekte stimmen.“

Leidenschaft und Zufriedenheit

Fragt man Mair nach seinem bislang größten musikalischen Erfolg, erzählt er vom Auftritt mit der Klangvereinigung und dem Sinfonieorchester Lienz 2013 im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins. „Das Gefühl, dort auf der Bühne zu stehen, wunderbare Musik darzubieten und das mit meinen engsten Musikerkolleginnen und -kollegen – das war etwas ganz Besonderes.“ Und was darf die Zukunft bringen? Freilich möchte er die Klangvereinigung mit ihrem sehr abwechslungsreichen Repertoire weiterführen, überhaupt wäre das sein Traum, „den Beruf des Musikers und Dirigent bis ins hohe Alter ausüben zu können. Wenn ich auf der Bühne stehe, fühle ich eine große Zufriedenheit und ich fühle, dass es das Richtige ist.“ Auf die Frage, ob ihn diese Leidenschaft womöglich einmal ans Pult des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker bringen könnte, lacht er bescheiden: „Man wird sehen.“

Bis dahin jedenfalls ist er gut beschäftigt. Und zum Energieauftanken kommt er nach Hause. Er liebt die Region, die Natur und die Orte seiner Kindheit. Die Eltern fehlen ihm. „Und die Kulinarik“, ergänzt er. Ein ganz spezieller Ort für Mair ist die Almhütte seiner Großeltern. „Ich habe mit ihnen dort viele, viele Sommer verbracht und verbinde so schöne Dinge mit der Zeit dort oben. Diese Idylle, diese friedliche Umgebung, dieser entschlackte Lebensalltag, stressfrei, aber doch strukturiert“, sagt er. „Ich sage immer, zwei Tage auf der Almhütte sind wie drei Wochen Strand. In kurzer Zeit erhole ich mich dort viel schneller als irgendwo sonst.“ Und genau diese „entschlackte Umgebung“, sei inspirierender als eine laute, sehr aufgebrachte, stressige. „Gerade in der Ruhe kann ich besser in mich hineinschauen, Dinge besser durchdenken.“

Ist das etwas, was Osttirol der Welt geben könnte, diese Ruhe, dieses Heruntergefahrene? „Gerade diese Ruhe, diese familiäre Atmosphäre“, sagt Mair. „Die Zufriedenheit vor allem, die Wertschätzung und der Respekt vor Mensch und Natur spüre ich ganz stark dort. Und ich glaube das ist genau die Botschaft, die Osttirol nach außen senden kann, die wir gerade zurzeit sehr brauchen.“

Foto: Gerald Mair I Marco Leiter

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