Der Brauch, die Kirchengemeinde mit dem Fastentuch in der 40-tägigen Passionszeit auch geistig, sprich optisch, fasten zu lassen, reicht bis zu über 1.000 Jahre zurück. Die Gestaltung des Fastentuchs – eine Interpretation von Geschichte, Religion und Kunst – von Michael Hedwig ist so modern wie nie. Zu betrachten ist sein Werk noch bis zum Ostersonntag, auch virtuell, in der Michaelerkirche in Wien.

Göttliches Licht und neues Leben und eine Vision: Der gebürtige Osttiroler Michael Hedwig verbindet religiöse Szenen – die Totengebeins-Vision des Ezechiel (Ez 37, 12) und die Verklärung Jesu (Lukas 9, 28-30) – in seinem Fastentuch. Schon im Mittelalter wurde aus dem einst symbolischen Gegenstand, der die Gemeinde vom Altarraum trennt, ein Kunstobjekt. Bei Michael Hedwig ist es unterteilt in vier Ebenen auf drei lichtdurchscheinenden Bahnen, elf Meter hoch und sieben Meter breit.

Das Fastentuch als Teil der Liturgie

Bereits für das Osterfest 2010 fertigte Hedwig das Fastentuch für den Dom in Innsbruck an. Impulsgeber dafür war die „Initiative Kunstraum Kirche“ rund um Professor Gerhard Larcher, der in Graz an der katholisch-theologischen Fakultät lehrte, und seine Frau Elisabeth. „Bestreben dieser Initiative ist, dass die Kunstwerke regelmäßig wechseln“, erklärt Hedwig, und so sei das Tuch danach im Depot gelegen, bis es in den vergangenen beiden Jahren in der Wiener Michaelerkirche während einer liturgischen Feier aufs Neue andachtsvoll hochgezogen wurde.



Verantwortung für Gemeinsames

„Es war, als wäre das Fastentuch heimgekommen“, sagt Michael Hedwig. Er kenne die Kirche und ihre Geschichte und es passe einfach alles zusammen. Die auf Baumwolle gebannte Malerei füllt den Hochaltar wie angepasst aus und lässt das Licht, das ihn sonst in Szene setzt, hindurchströmen. Je nach Tageszeit verändert sich entsprechend der wechselnden Lichtverhältnisse die Transparenz des Tuchs. Überhaupt finden sich viele religiöse Motive in den Werken des Osttirolers. Es gehe dabei aber vor allem um religiös anmutende Kompositionen, die seiner Grundauffassung entsprächen, erklärt er. Daheim sei er in der Renaissance und es gebe konzeptionelle Ähnlichkeiten, Figuren, die zueinander in Bezug stehen, in die Bildfläche zu setzen. Wenn religiös, dann sei es im Sinne von Gemeinschaft gedacht, „eine idealisierte Form. Auch wenn ich es nicht vordergründig male, ist es von der Schwingung her so gemeint“. Seine Intention: miteinander eine Realität aufbauen, verantwortlich sein für Gemeinsames.

Distanz und Nähe

Dieses Gefühl bleibt nicht in seinen Bildern stecken: „Das zu leben, in der Familie, im Unterricht an der Akademie, und das Bewusstsein mitzunehmen, dass wir gemeinsam Dinge bewältigen“, das ist dem 64-Jährigen wichtig. Und ganz aktuell: „Wo wir in der Distanz den anderen brauchen, das Verständnis, um zum Ergebnis zu finden.“ Das Neuwerden zählt dazu, und so bedeutet auch das Osterfest für ihn Frühling, wie auch „ein Hinausgehen und ein Schauen, wo wir wieder unsere eigenen Kräfte finden, wo Wachstum beginnt. Und so verstehe ich auch die Auferstehung“, sagt er.

Der Garten der Zuversicht im Defereggental

„Immer wieder und alles“, antwortet er außerdem auf die Frage, wie viel Osttirol in seine Bilder einfließe. „Es gibt von mir ja auch Bilder mit Gebirgsketten und wenn es nur eine Linie ist, sind das immer die Linien aus Osttirol, das ist klar“, sagt Hedwig, der des Kunststudiums wegen die Region verlassen und in Wien sein zweites Zuhause gefunden hat. Allerdings ist er mit seiner Familie „recht häufig da“. Und wer einige seiner Arbeiten demnächst im Original anschauen will, kann dies ab 5. Juni 2021 um 18 Uhr in der Galerie in der Mitte in Hopfgarten im Defereggen tun. Garten der Zuversicht heißt die Ausstellung und die Besucher erwarten, auch passend zum Frühling und zu einer Zeit des Um- und Neudenkens kraftvolle Bilder voller Symbolik.

Weitere Informationen:

www.hedwig.at


© Andreas Krapf Günther, Regina Totz


Autorin:
Monika Hoeksema


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